Geboren 1965 in Tailfingen, aufgewachsen in Kiel und Neuss. 1987 bis 1991 studierte Marcel Beyer Germanistik, Anglistik und Literaturwissenschaft an der Universität Siegen.
Seit 1987 entstanden gemeinsame Performance- und Videoarbeiten mit Norbert Hummelt.
Ab 1989 gab er an der Universität Siegen mit Karl Riha die Reihe „Vergessene Autoren der Moderne“ heraus und war 1988–1994 Redakteur der Reihe „experimentelle texte“. 1990–1993 arbeitete er als Lektor an der Literaturzeitschrift „Konzepte“ mit und lieferte 1992–1998 Beiträge für die Musikzeitschrift „Spex“. Seit 1996 lebt er in Dresden.
Beyer, der zunächst stark beeinflusst war von Friederike Mayröcker und den Autoren des französischen Nouveau Roman, ist Verfasser von Lyrik, Essays und Romanen, die sich immer wieder mit der deutschen Geschichte auseinandersetzen. Berühmt wurde Beyer mit dem Roman „Flughunde“ (1995), in dem der Zusammenbruch des Dritten Reiches aus der Perspektive des Beschallungsspezialisten Karnau und der Goebbels-Tochter Helga erzählt wird. Auch in „Spione“ (2000) und „Kaltenburg“ (2009) beschäftigt sich Beyer mit der NS-Zeit.
In der fünfzehnten Erlanger Übersetzerwerkstatt folgt er den Spuren des Meistersängers Muskatblut (Muskatblüt): „Gesang bestimmt, wie hoch der Himmel ist“, dichtete dieser, einer der großen Verlierer der Literaturgeschichte – verderbt und fehlgelesen, fehlkopiert und fehlediert, der älteste Textzeuge: begraben unter den Trümmern des Kölner Stadtarchivs, versunken im Schlamm der vom Grundwasser ausgespülten Baugrube. 200 Jahre nach Jacob Grimm hat Marcel Beyer die „Akte Muskatblut“ wieder geöffnet und mit dem mittelalterlichen Spruchdichter Zwiesprache gehalten. Seine (nach)dichterische Bergungsarbeit hat dem mittelalterlichen Meistersänger zu neuer Bekanntheit verholfen.
Auszeichnungen u. a.: Ernst-Willner-Preis (1991), Stipendium des Künstlerhauses Wiepersdorf (1995), Uwe-Johnson-Preis (1997), New York Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1999), Heinrich-Böll-Preis (2001), Friedrich-Hölderlin-Preis (2003), Spycher: Literaturpreis Leuk (2004), Erich-Fried-Preis (2006), Joseph-Breitbach-Preis (2008), Stadtschreiber von Bergen-Enkheim (2012), Kleist-Preis, Oskar-Pastior-Preis (2014), Bremer Literaturpreis (2015), Düsseldorfer Literaturpreis, Georg-Büchner-Preis (2016).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Walkmännin. Gedichte 1988 / 1989“, Patio, Frankfurt a. M. 1990
– „Das Menschenfleisch“, Roman, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1991
– „Flughunde“, Roman, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1995; Graphic Novel, zus. mit U. Lust, Suhrkamp, Berlin 2013
– „Falsches Futter“, Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1997
– „Spione“, Roman, DuMont, Köln 2000
– „Erdkunde“, Gedichte, DuMont, Köln 2002
– „Nonfiction“, Essays, DuMont, Köln 2003
– „Vergesst mich“, Erzählung, DuMont, Köln 2006
– „Kaltenburg“, Roman, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009
– „Putins Briefkasten. Acht Recherchen“, Suhrkamp, Berlin 2012
– „Graphit“, Gedichte, Suhrkamp, Berlin 2014
– „XX. Lichtenberg-Vorlesungen“, Wallstein, Göttingen 2014
– „Das blindgeweinte Jahrhundert. Bild und Ton“, Essays, Suhrkamp, Berlin 2017
Übersetzungen (Auswahl):
– Gertrude Stein: „Spinnwebzeit. Bee Time Vine und andere Gedichte“, Übers. und Hrsg., Arche, Zürich 1993
– Michael Hofmann: „Feineinstellungen“, Gedichte, DuMont, Köln 2001
– „Muskatblut, Muskatblüt“, Erstübers. von T. Marquardt, Das Wunderhorn, Heidelberg 2016
– Frieder von Ammon: „Muskatplüts Hofton ist hier unbekannt. Marcel Beyer, das Mittelalter und die Germanistik“, in: Christian Klein (Hrsg.): „Marcel Beyer. Perspektiven auf Autor und Werk“, Metzler, Stuttgart 2018, S. 49–62