Wie viele Tage? Das ist eine Frage, die ohne Antwort bleibt. Was ist die Zeit, wie vergeht sie, was bleibt in der Erinnerung? Was bedeuten Orte oder Wohnungen? Andrea Scrima ist New Yorkerin, die in Berlin lebt, viele Jahre bildende Künstlerin gewesen ist und sich seit einigen Jahren nur noch der Literatur widmet. Sie tut das mit dem geduldigen Blick der Malerin, die drei Jahre an einer Leinwand gemalt hat, ohne zu wissen „wohin das führt“. „Schicht um Schicht, zwölf Zentimeter im Jahr.“ Sie hat die Geduld der Forscherin und leiht sich beim Schreiben die Technik der Malerin. Sie verwischt die Spuren von Umzügen und Abschieden, die zu Verwandten, Freunden, Liebhabern führen oder führen könnten. Immer ein Aufdecken und Verdecken. „Wie viele Tage“ ist eine biografische Exkursion, die dem Geheimnis der Existenz auf der Spur ist, ohne das Geheimnis jemals ganz zu verraten. Schäbige Bleiben mit schäbigen Nachbarn, Berlin, Eisenbahnstraße, Berlin, Fidicinstraße. New York, Bedford Avenue, New York, Ninth Street, Kent Avenue.
Aus was besteht eine Wohnung, außer aus Fenstern, Wänden, Türen? Sie besteht aus Erinnerungen, aus Gegenständen, Gefühlen, Bildern, Gesprächen, Liebe und Trauer. Wohnungen loten die „Grenzen des Charakters“ aus, sie sind Aufbewahrungsorte und Beobachtungsposten. Es geht nicht um das Reisen, sondern um das Da Sein, wo man ist. Es ist eine Reise zu inneren Orten und zur Literatur, zu einer klaren poetischen Sprache, die das gefundene Material in Bilder umsetzt. „Diskrete Indiskretheit“ fällt einem dazu ein. Eine große literarische Entdeckung, dieses schmale Buch einer Amerikanerin in Berlin.
Verena Auffermann
Andrea Scrima: Wie viele Tage. Droschl. Graz, Feb 2018