Wenn die Kapitelüberschriften eines Buches so schöne Titel wie „Plastikschildkrötengrün“, „Erstehilferot“, „Van-Gogh-Gelb“ oder „Kaugummigrau“ tragen, dann hat man es definitiv mit einem Künstlerroman zu tun. Es geht um Karl, der sich schon mit 26 Jahren einen Namen als Berliner Avantgardekünstler gemacht hat. Allerdings unter einem anderen Nachnamen. Denn seine Eltern, August und Ida Stiegenhauer, sind das Jetset-Glamour-Paar der deutschen Kunstszene, die für ihren Sohn keinen Platz in ihrem Leben hatten. Karl wurde schon mit zehn Jahren ins Internat abgeschoben. Unweigerlich mit seiner Familiengeschichte auseinandersetzen muss sich Karl allerdings, als sein Vater sich mit 57 Jahren umbringt. Er hat das getan, weil er ohne seine an einem Hirntumor erkrankte Frau nicht weiterleben wollte. Doch Karls Mutter überlebt die Krebserkrankung, ist aber nach der Operation pflegebedürftig, sodass ihr Sohn sich um sie kümmert. Nur hält die Mutter ihn jetzt für ihren Mann August. Eine Ödipusgeschichte, eine Künstlergeschichte, eine Geschichte vom erneuten Erwachsenwerden und eine Liebesgeschichte. Das alles ist dieser anrührende und gehaltvolle Roman. Denn Karls einzige Bezugsperson in „Leinsee“ ist das achtjährige Mädchen Tanja, das ihn mit kindlicher Unbekümmertheit zurück ins Leben lockt.
Anne Reinecke, geboren 1978, hat Kunstgeschichte und Neuere deutsche Literatur studiert und für verschiedene Theater-, Film- und Ausstellungsprojekte sowie als Berliner Stadtführerin gearbeitet. „Leinsee“ ist ihr erster Roman. Für das Manuskript wurde sie mit einem Stipendium des LCB ausgezeichnet und für den Debütpreis der LitCologne 2018 nominiert. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Berlin. (D. K.)
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Leinsee“, Roman, Diogenes, Zürich 2018
Anne Reinecke
Die Revue der Neuerscheinungen I | Samstag, 25.08.2018 | - | Schlossgarten |