Wenn dieser Dichter als „Engel des Tages“ auf die Bühne tritt, dann ertönen in seinem furiosen Monolog verschiedene Stimmen: Ist es der „heilige Hölderlin“, der „reine Rilke“, der entfesselte Zarathustra Nietzsches, der verzückte Mystiker Meister Eckhart? Er hat von all diesen Vorbildfiguren etwas in sich aufgenommen, der Dichter Christian Uetz, der von den Engeln gejagt wird wie von den Teufeln. Christian Uetz, 1963 geboren in Romanshorn in der Schweiz, ist ein Extremist der Poesie, der die Wörter durch die ganze Temperaturskala von der äußersten Hitze bis zur heftigsten Kälte jagt. Das Genie der vokabulären Selbstentzündung wirbelt auf der Bühne umher als ein Unruhegeist, der in rasender Geschwindigkeit Wörter, Sätze, Begriffe und Denkfiguren verknüpft – Literatur wird zum magischen Beschwörungsakt. In ihrem Kern ist seine Dichtung ein existenzialistischer Aufschrei – eingeflochten in eine hoch komplexe Textur mit philosophischer Grundierung.
Die Passion des Autors für Fragen der Existenz erwachte während seines Studiums der Philosophie und des Altgriechischen an der Universität Zürich. Bereits seine Frühwerke, die Gedichtbände „Luren“ (1993), „Reeden“ (1994) und „Nichte“ (1998) zitieren den mittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart, dazu Kierkegaard, Heidegger und Nietzsche. In seinen bei Suhrkamp erschienenen Bänden „Don San Juan“ (2002) und „Das Sternbild versingt“ (2004) präsentierte sich Uetz dann als fanatischer Prediger des „heiligen Eros“. Nun hat das „Existenzfieber“ diesen verzweifelten Mystiker erneut gepackt – und es treibt ihn zu den Engeln. „Seit ich aus dem langen / Schatten trete, dem jahrtausendelangen, / begegnen nur Engel“, heißt es in seinem neuen Buch. Und er lässt sie nun Revue passieren: den „Engel des Schmerzes“, den „Engel des Todes“, den „Engel der Geschichte“, den „Engel, den es nicht gibt“ – und den „Engel der Illusion“. (M. B.)
Auszeichnungen u. a.: 3sat-Preis des Ingeborg Bachmann-Wettbewerbs (1999), Einzelwerkpreis der Schweizerischen Schillerstiftung (2000), Stipendium Künstlerhaus Edenkoben (2001), Auszeichnung der Stadt Zürich (2002), Thurgauer Kulturpreis, Preis des Bundesverbands der Deutschen Industrie (2005), Bodensee-Literaturpreis (2010).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Luren“, Gedichte, Verlag Im Waldgut, Frauenfeld 1993
– „Reeden“, Gedichte, Verlag Im Waldgut, Frauenfeld 1994
– „Nichte“, Gedichte, Droschl, Graz 1998
– „Zoom Nicht“, Droschl, Graz 1999
– „Don San Juan“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2002
– „Das Sternbild versingt“, Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2004
– „Nur Du, und nur Ich. Roman in sieben Schritten“, Secession, Zürich 2011
– „Sunderwarumbe. Ein Schweizer Requiem“, Secession, Zürich 2012
– „Es passierte“, Roman, Secession, Zürich 2015
– „Engel der Illusion“, Gedichte, Secession, Zürich 2018