Es gibt wohl kaum einen unwahrscheinlicheren Schauplatz für einen Roman als diesen: eine Bohrinsel an der nordafrikanischen Küste vor Marokko, wo die Stürme besonders schlimm wüten und die Männer monatelang mit Schlamm und Gesteinsschichten kämpfen müssen. Aber die Lyrikerin Anja Kampmann, Jahrgang 1983, wählt genau diesen unwirtlichen Ort als Ausgangspunkt ihres erzählerischen Debüts „Wie hoch die Wasser steigen“. Und bereits diese Entscheidung zeigt, wie viel sie in ihrem Erstling aufs Spiel setzt. Es geht ihr um mehr als nur um die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Arbeitern. Es geht ihr um einen Weltentwurf. Sie fragt nach dem Wesen des Menschen in Zeiten der Globalisierung. Schon in ihrem Lyrikband „Proben von Stein und Licht“ (2016) hatte sie das Terrain erkundet und sich Orte angeeignet. Im Mittelpunkt ihres Romandebüts steht der 52-jährige Wenzel, der oft auch Waclaw genannt wird. Seine Familie stammt aus Polen, aber er ist im Ruhrgebiet aufgewachsen, wo sein Vater im Bergwerk schuftete. Wenzel landete aus Geldnot und Neugierde im „Offshore“ und gewöhnte sich an das Leben im Ausnahmezustand, an die langen Schichten, die nur mit Aufputschmitteln durchzustehen waren, und die freien Tage in exotischen Gegenden. Als sein Freund Mátáys eines Tages vom Meer verschluckt wird, tritt er eine Odyssee quer durch Europa an. Anja Kampmann erkundet die Möglichkeiten, von heute zu erzählen. (M. A.)
Auszeichnungen u. a.: Stipendium der Jürgen Ponto-Stiftung (2007), Stipendium Klagenfurter Literaturkurs (2008), Stipendium International Writing Program University of Iowa (2010), MDR Literaturpreis (2013), Arbeitsstipendium der Kulturstiftung Sachsen, Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis (2015), Finalistin Alfred-Döblin-Preis (2017), Nominierung Preis der Leipziger Buchmesse (2018).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Proben von Stein und Licht“, Gedichte, Lyrik Kabinett, München 2016
– „Wie hoch die Wasser steigen“, Roman, Hanser, München 2018